Hymne an das natürliche Essen - Bistro Ginkgo von innen
9 Meine Küche – mein Fitnessstudio
Von Min Busch, Olhos de Água, Balaia Golf Resort, den 18. Januar 2022
Es hat etliche Jahre gedauert, bis mein Mann endlich zustimmte, dass wir zusammen ein Restaurant eröffnen. In unseren „jungen Jahren“ loderte die Leidenschaft fürs Restaurant so heftig, dass wir im Sommer 1997 auf dem alljährigen Unifest der Universität Duisburg einen Stand eröffneten, um selbst Baozis zu verkaufen. Unser Glück war, dass wir in der Uni-Mensa einen ganzen Tag lang unsere Baozi vorproduzieren durften, um sie dann einen Tag später auf dem Fest selbst „nur noch“ durch erneutes dünsten zu regenerieren. Die Profi-Köche waren sehr hilfsbereit. Die riesigen Geräte waren von dermaßen großen Dimensionen und zudem dermaßen modern, dass sie mir buchstäblich den Atem raubten. Der Spaß war groß, die Vorbereitungen lang und der Verlust für unsere damaligen Verhältnisse riesig: 1997 hätten wir beide uns von den sage und schreibe 600 DM einen ganzen Monat ernähren können. Dieser Misserfolg schmerzte. Doch um nicht dem Verlust nachzutrauern, sagten wir uns: Wir haben bloß an einem teuren MBA-Kurs teilgenommen. Zwar waren wir bei der Prüfung durchgefallen, aber die Kenntnisse und Fähigkeiten, die wir uns bei diesem „Baozi-Projekt“ angeeignet hatten, würden uns ein ganzes Leben lang begleiten.
Mein Patenonkel, der mich seit meinem Teenager-Alter stets coacht und begleitet, pflegt an solchen Situationen zu sagen: „Meine Oma sagte immer, im Nachhinein ist es immer gut so, wie das Leben verlaufen ist.“ Solche Weisheiten waren ja für einen jungen Menschen, dessen Berufswahl eine andere war, ja „sein musste“, als die, wofür seine Leidenschaft brannte, kaum nachzuvollziehen. Doch mein chinesisches Ich tat eines automatisch: Was ich nicht verstehe, das merke ich mir. Das Folgende hat mir mein Vater beigebracht: „Zuerst lernst Du die klassischen Texte auswendig; und eines Tages wirst Du verstehen, was drin steht.“
In der Tat, diese beiden Ansichten kann ich 100%ig teilen, zwischen damals und jetzt liegen 24 Jahre. Aus der heutigen Sicht konnten wir damals nur scheitern. Denn als Voraussetzung brachten wir, außer unserer Leidenschaft und Energie sowie etwas Erfahrung am Umgang mit Lebensmitteln kaum, kaum was Anderes mit.
Als wir im Winter 2019 die Lokalität für das Bistro Ginkgo ausfindig gemacht haben, wurde uns bewusst, dass mein Mann und ich in den 20 Berufsjahren unseren „Werkzeugkasten“ bestens ausgestattet hatten, ohne dass dies uns bewusst war. Es war überraschend angenehm zu erfahren, dass wir immer auf einen eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen können, was auch immer wir benötigen.
Mit der Zeit, die wir inzwischen mit Planung und Umsetzung unseres Bistro Ginkgo verbracht haben, glauben wir fest an das Prinzip, „alles aus einer Hand“, nämlich aus unserer eigenen Hand. Dadurch ist unser Fortschritt zwar im Schneckentempo unterwegs, aber das Endprodukt trägt eindeutig unsere eigene, einzigartige Handschrift. Unsere Gerichte kommen an. Auch das Interior-Design, das Logo, die Corporate Identity, alles wird von unseren Kunden positiv wahrgenommen. Einmal bekam ich ein Feedback von einem jungen Pärchen aus Bonn zu hören: „Merkwürdig, wir sitzen heute zum ersten Mal hier. Aber Ihr Ambiente, die leckeren Gerichte, die angenehme Beleuchtung, das alles kommt uns so bekannt und vertraut vor, als würden wir im eigenen Wohnzimmer sitzen.“ Diese ermutigenden Worten waren so herzerwärmend. Wir sind diesem Gästepaar dankbar dafür sind, dass sie in Worten ausgedrückt haben, war wir durch andere Kommunikationskanäle zu erzeugen versuchen. Das macht uns glücklich. Für uns bedeutet solche Anerkennung die beste „Bezahlung“. Genau dafür arbeiten wir beide gerne unsere 80 Stunden pro Woche.
Den Unterschied zwischen einer häuslichen und einer professionellen Köchin lernte ich jedoch erst in den vergangenen 14 Monaten kennen. Wenn irgendjemand mir vorher gesagt hätte, dass die körperliche Fitness kriegsentscheidend für die „Nachhaltigkeit“ von Bistro Ginkgos Produktqualität ist, das hätte ich niemals geglaubt. Faktoren, die zum langfristigen Erfolg führen, gibt es viele: Zu Pandemie-Zeiten steht die Liquidität an der allerersten Stelle. Zu Zeiten der Corona-Pandemie zahlten wir Tag für Tag, Monat für Monat drauf, um den Betrieb offen zu halten. Diese Situation hatten wir durch das Uni-Fest schon einmal erlebt. Doch dieses Mal waren wir finanziell auch vorbereitet. Nur niemand rechnete damit, dass die ganze Nation selbst im dritten Jahr noch hoch auf der vierten Welle reitet, ohne dass ein Ende abzusehen ist. Zuzusperren ist eindeutig kostengünstiger als das Offenlassen. Das ist der Grund, warum wir uns nun im Winter für das „Remote-Working“ entschieden haben.
Die größte Herausforderung für mich ist, in den kommenden Wochen, die gesamte körperliche Fitness auf Vordermann zu bringen. Denn fast alle meiner Gäste essen immer zur selben Uhrzeit: Mittags kommen die Bestellungen zwischen 12.30 Uhr und 13.30 Uhr, abends zwischen 17.30 und 19.00 Uhr. Da ich nicht abschätzen kann, was in welchen Mengen bestellt wird, um vollumfänglich in den Ruhephasen Zutaten zu waschen und zu schneiden und vorzubereiten, häuft sich die Arbeit zu diesen genannten Stoßzeiten noch mehr. Mit anderen Worten: Die steile Auf- und Ab-Kurve meiner körperlichen Bewegung kann mit meinem Qualitätsanspruch nicht in Einklang gebracht werden. Wenn ich am Vormittag alle Gemüsesorten vorschneide, bekommen sie einen dunklen Rand. Zwar hat diese Einfärbung geschmacklich keine negative Auswirkung auf die Gerichte, aber dies ist für eine Vollblutköchin, die die Perfektion anstrebt, durchaus störend.
Also blieb nichts anderes übrig, als mich zu Stoßzeiten zu sputen. Ja, rennen in der Küche oder zwischen der Küche und dem Tisch meiner Gäste, das ist die Konsequenz, womit ich leben muss. Die Herausforderung besteht darin, schnell zu sein, ohne hektisch zu werden; vier Feuerstellen gleichzeitig zu bedienen, ohne eine davon zu vernachlässigen. Bei jeder Bestellung außer Haus strebe ich an, die Gerichte möglichst kurz vor der Auslieferung fertig werden zu lassen, und zwar möglichst zeitgleich, als würden alle Gäste, die am selben Tisch sitzen und bei uns im Gastraum essen, alle gleichzeitig ihre Gerichte serviert bekommen. Somit vermeide ich das Übergaren oder ungewolltes Nachgaren, soweit es in meinem Verantwortungsbereich liegt und machbar ist. Ich kann ich nicht riskieren, die Garzeit um die Dauer des Transports zu kürzen. Schließlich würde ich dann für die Ampeln, die Baustellen, für Staus sowie die Parksituation beim Kunden vor der Tür mit „haften“, was definitiv viel zu weit ginge, womit ich meinen Mann und mich selbst zu stark unter Druck setzen würde. Leider erfahre ich nie, wie jedes Gericht beim Kunden aussieht, kurz bevor sie es essen.
Der Lieferservice, von dem wir zu Corona-Zeiten abhängig sind, macht mir unter Qualitätsgesichtspunkten sehr zu schaffen. Ich wünsche mir so sehr, dass der Gast das Essen unmittelbar genießt, nachdem das Gericht von der Pfanne auf den Teller umgefüllt wurde. Denn diese Qualität ist das, wofür ich als Köchin gerade stehe; und dieser Anspruch ist auch die Seele der chinesischen Küche. Nicht umsonst stehen die chinesischen Hausfrauen alleine am Herd, während der Hausherr zum häuslichen Bankett mit den Gästen zusammen am großen runden Tisch sitzt, um jedes Gericht frisch aus dem Wok, eines nach dem anderen zu genießen.
Genau diesen „Family-Style“ bieten wir bei Bistro Ginkgo an. Dies hat zudem den Vorteil, dass wir zu zweit mehrere Tische gleichzeitig bedienen können. Kein Gast muss lange warten. Jedes Gericht wird frisch gegessen, nichts wird auf dem Tisch kalt. Unsere Gäste freuen sich über dieses Arrangement, was uns sehr erleichtert und zugleich ermutigt, diesen Ablauf beizubehalten.
Daher ist die Anforderung an die innere Ruhe, geistige Konzentration sowie körperliche Fitness der Köchin umso höher: Denn die gesamte Aufmerksamkeit eines ganzen Tisches fokusiert immer zugleich auf dasselbe Gericht. Unterläuft mir ein Fehler, fällt das bestimmt jemandem auf! Umso mehr freue ich mich eine weitere Chance, die mir der „Family-Style“ bietet: Nach der Entgegennahme der Bestellung obliegt es meiner Entscheidung, in welcher Reihenfolge ich die Gerichte koche und präsentiere. Ich lasse mir die Bestellung immer als „Ganzes“ durch den Kopf gehen, lasse sie „sacken“. Für diese individuelle „Architektur“ eines Menüs nehme ich mir immer Zeit. Es gibt eine objektive Reihenfolge für den Gaumengenuss, die wie die Sätze einer Symphonie funktioniert. Mir ist bewusst, dass ich den japanischen „Kaiseki“-Köchen nicht einmal das Wasser reichen kann. Doch diese Selbsterkenntnis hindert mich nicht daran, von ihrem Konzept zu lernen, um meinen eigenen Kochstil zu entwickeln.
Ich koche und würze grundsätzlich ausschließlich mit Hilfe meines Geruchsinns. Was ich jeden Kochtag zu Stoßzeiten übe, ist die innere Ruhe und die absolute Konzentration. Geschwindigkeit, Laufen wie auf dem Laufband im Fitnessstudio, das sind nur äußere Erscheinungen, die jemand anders von mir wahrnimmt. Denn gerate ich in eine innere Panik, werde ich abgelenkt, so erhalte ich in der nächsten Minute die Quittung in Form von gescheiterten Gerichten.
Darum setze ich das Training meiner körperlichen Fitness und mentalen Wachsamkeit als höchste Priorität während dieser pandemiebedingt sehr langen Winterpause. An der Algarve laufen meine Beine 10 km fast von alleine, begleitet durch das rhythmische Rauschen des Meeres und die warme Sonne auf der Haut. Inspirationen drängen mich morgens zum Schreiben, und lassen mich nicht mehr los. Ich bin mir sicher, dass ich nach dieser kreativen Winterpause eine bessere Köchin sein werde.
Guten Appetit
Wünscht Ihnen das Bistro Ginkgo Team
Diesmal aus dem Balaia Golf Resort in Olhos de Água/Algarve/Portugal
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